Hintergründe
Souveräner Gipfelstürmer

Der kanadische Pianist Jan Lisiecki und die Academy of St Martin in the Fields gastieren an drei Abenden mit allen fünf Klavierkonzerten Beethovens sowie mit dessen Tripelkonzert bei ProArte.

Jan Lisiecki © Christoph Köstlin/DG
© Christoph Köstlin/DG

Man mag sie schon gar nicht mehr schreiben oder lesen, diese Worte, diese Superlative, die heutzutage in fast jeder Künstlervita stehen. Die Formulierung „einer der aufregendsten Pianisten seiner Generation“ beispielsweise. Das Adjektiv ist natürlich austauschbar; der Superlativ ist wichtig.

 

Auf den Kanadier Jan Lisiecki treffen sie selbstredend alle zu, diese Superlative. Er ist gerade einmal 29 Jahre jung und in der Tat bereits seit über einem Jahrzehnt ein spannender, facettenreicher Pianist mit beeindruckender Technik, vielseitigem Repertoire, einer sensiblen Anschlagskultur und einer erstaunlichen Reife.

Superstar am Klavierfirmament

Der Name begegnete mir zum ersten Mal, als mich mein längst verstorbener Konzertfreund Uli anrief, der Jan Lisiecki am Vorabend zum allerersten Mal gehört hatte. Uli fühlte sich, als Lisiecki das Podium betrat, aufgrund der schlanken und groß gewachsenen Erscheinung des Pianisten sowie der blonden Wuschelmähne an ein Streichholz erinnert und führte die Metapher sogleich weiter: Von Funken war da die Rede, die vom ersten Ton an auf das Publikum übergesprungen seien. Den müsse man unbedingt im Auge behalten, so Uli. Da war Jan Lisiecki vermutlich gerade dem Teenageralter entwachsen.

 

Inzwischen ist er längst ein Superstar am Klavierfirmament. Und das Publikum hierzulande hat das Glück, ihn regelmäßig erleben zu können, denn der Künstler spielt oft und gern auf deutschen Bühnen. Allein in den Saisons 2022/23 und 2023/24 gastierte er siebenmal bei ProArte in Hamburg: Mit Programmen von Mozart bis Chopin, von Beethoven bis Grieg, von Solorezital bis Orchesterkonzert begeisterte er das Publikum in Elbphilharmonie und Laeiszhalle. Zuletzt mit einem klug zusammengestellten Soloabend, in dem er mit Präludien vom Barock bis zur Gegenwart ein weiteres Mal sein breit gefächertes Repertoire unter Beweis stellte.

In der Saison 2024/25 kehrt er nun nach Hamburg zurück und spielt bei ProArte an drei Abenden sämtliche Klavierkonzerte Beethovens sowie dessen Tripelkonzert, das gar nicht einmal so oft live zu erleben ist. Daniel Müller-Schott übernimmt dabei den Cellopart, und der musikalische Leiter aller Konzerte mit der Academy of St Martin in the Fields, Tomo Keller, spielt die Solovioline.

Januar 2025
Dienstag, 14. Januar 2025 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer Saal
Jan Lisiecki

Academy of St Martin in the Fields | Tomo Keller

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Mittwoch, 15. Januar 2025 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer Saal
Jan Lisiecki

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Donnerstag, 16. Januar 2025 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer Saal
Academy of St Martin in the Fields

Jan Lisiecki | Tomo Keller | Daniel Müller-Schott

Jan Lisiecki hat die Klavierkonzerte bereits im Dezember 2018 mit der Academy eingespielt. Kurzfristig war er damals für den erkrankten Murray Perahia eingesprungen, und die Aufnahme aus dem Berliner Konzerthaus erwies sich als Glücksfall für die Interpretationshistorie der Werke. Denn statt akribischer Vorbereitung mit ganz viel Zeit – gegen die mitnichten etwas einzuwenden wäre! – entstand aus der Spontaneität heraus eine neue Kraft, eine neue Energie, wie Lisiecki ein Jahr später, im Dezember 2019, der Zeitschrift Crescendo erzählte. Diese Konzerte waren eine Momentaufnahme, und die Aufnahme hinterher so gut, dass der Zyklus bei jenem berühmten gelben Label erscheinen konnte, bei dem Lisiecki schon seit dem zarten Alter von 15 unter Vertrag steht. Orchester wie Solist spielen die Kopfsätze mit aller gebotenen Seriosität, die langsamen Sätze mit beeindruckendem Tiefgang und die Final-Rondos mit Witz und einer Leichtigkeit, die einfach Laune macht.

Ein wunderbarer Zufall

Nach der Pandemie, im Sommer 2022, ging Jan Lisiecki den Beethoven-Marathon auf gleich mehreren Tourneestationen an, so etwa beim Klavier-Festival Ruhr und beim Rheingau Musik Festival, und spielte an je zwei aufeinanderfolgenden Abenden alle fünf Klavierkonzerte des Bonner Meisters – diesmal begleitet vom Chamber Orchestra of Europe, das er von seinem Instrument aus leitete. 

 

Die Academy of St Martin in the Fields, mit der er nun erneut – und diesmal mit mehr Vorbereitungszeit – auftritt, wurde 1958 von Sir Neville Marriner zusammen mit John Churchill gegründet und spielte unter Sir Neville unzählige Platten ein, die mitunter Kultstatus haben. In ganz besonderer Erinnerung ist mir das erste Kölner Konzert nach dem Tod Marriners geblieben, der am 2. Oktober 2016 von uns ging. Nur eine Woche später, am 9. Oktober, war das Orchester in Köln. Tomo Keller leitete vom Konzertmeisterpult aus und legte nach dem Konzert in einer unvergleichlich schönen Geste die ihm überreichten Blumen auf genau jenen Platz, wo Sir Neville gestanden hätte, bevor das Orchester Percy Graingers Arrangement der irischen Volksweise Danny Boy, auch bekannt als The Derry Air, zugab. Ein bewegender Abend von einem der so vielen bedeutenden Londoner Orchester.

Nach Hamburg pflegt die Academy eine langjährige enge Bindung: Seit Jahrzehnten gastieren die Briten mehr oder weniger alljährlich bei ProArte. Und auch Jan Lisiecki war hier bereits mit ihnen zu hören – im Dezember 2018 als Einspringer für Murray Perahia. Auf dem Programm: Beethovens Klavierkonzerte Nr. 2 und 5 ... Als Superstar mag er wahrscheinlich nicht bezeichnet werden. Ein souveräner Gipfelstürmer ist Jan Lisiecki allemal. Und den Gipfel der Konzerte Beethovens wird er einmal mehr mit Bravour erklimmen