Hintergründe

Colors of Bach

Eldbjørg Hemsing lässt Bachs Musik in allen Farben schimmern

Eldbjørg Hemsing © Gregor Hohenberg
© Gregor Hohenberg
Digitales Programmheft

Eldbjørg Hemsing

Sonntag, 12. Oktober 2025 | 19:30 | Elbphilharmonie, Kleiner Saal

Programm

Johann Sebastian Bach (1685–1750)

I. Preludio

aus: Partita Nr. 3 E-Dur BWV 1006

 

1. Jesus nahm zu sich die Zwölfe

aus: Jesus nahm zu sich die Zwölfe BWV 22

 

Präludium C-Dur BWV 846

aus: Das wohltemperierte Clavier I

 

Menuet G-Dur BWV Anh. 114

(vermutlich komponiert von Christian Petzold *1677 † 1733)

 

II. Andante

aus: Violinkonzert a-Moll BWV 1041

 

III. Allegro

aus: Konzert für Violine und Oboe BWV 1060R

(Rekonstruktion: Wilfried Fischer)

 

6. Choral: Wohl mir, dass ich Jesum habe

aus: Herz und Mund und Tat und Leben BWV 147

 

Air

aus: Orchestersuite D-Dur BWV 1068

 

I. 

aus: Brandenburgisches Konzert Nr. 1 BWV 1046

 

Ich steh an deiner Krippen hier BWV 469

 

Aria

aus: Goldberg-Variationen BWV 988

 

Präludium C-Dur BWV 553

 

Nun freut euch, lieben Christen g’mein BWV 734

 

Invention Nr. 8 F-Dur BWV 779

 

II. Andante

aus: Orgelsonate Nr. 4 e-Moll BWV 528

 

44. Choral: Befiehl du deine Wege

aus: Matthäus-Passion BWV 244

 

39. Erbarme dich

aus: Matthäus Passion BWV 244

 

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ BWV 639

 

III. Presto

aus: Concerto d-Moll BWV 974 

(nach dem Oboenkonzert d-Moll von Alessandro Marcello)

 

Violinkonzert Nr. 2 E-Dur BWV 1042

I. Allegro
II. Adagio
III. Allegro assai

 

Zugabe: 

Johann Sebastian Bach, 1. Widerstehe doch der Sünde, aus: Widerstehe doch der Sünde BWV 54

Besetzung

Eldbjørg Hemsing Violine

 

Elise Båtnes Violine

Liv Hilde Klokk-Bryhn Violine

Ida Klokk-Bryhn Viola

Louisa Tuck Violoncello

Kenneth Ryland Kontrabass

Ole Christian Haagenrud Klavier

 

Gunnhild Tønder Cembalo

 

Moderation: Charlotte Oelschlegel

Eldbjørg Hemsing
Eldbjørg Hemsing © Gregor Hohenberg

Als es noch gar keine Pop-Musik gab, war Johann Sebastian Bach der größte Pop-Musiker, den man sich vorstellen kann. Glauben Sie nicht? Dann hören Sie jetzt einmal ganz genau hin. Gleich zu Beginn des heutigen Abends, diese Harmonien-Abfolge im ersten Präludium von BWV 553. Erst klingt es noch ganz barock, aber wenn dann das Klavier perlige kleine Akkorde vor sich hinzaubert und die Streicher:innen darüber einen feinen Klangteppich legen, dann ist das so eingängig und abgerundet wie eine gute Überleitung, bevor ein letztes Mal der Refrain zum Mitsingen kommt.

Kein Popstar ...

Dabei war Bach als Person alles andere als ein Popstar. Eher der im Hintergrund der Bühne verschwindende Keyboarder oder – noch viel besser – der Studio-Nerd, der wochenlang am richtigen Mix sitzt. Ein Arbeiter, ein Macher, ein Handwerker, der nicht unbedingt im Mittelpunkt stehen muss, und der noch einige Nebenjobs hat, weil er von der Musik allein nicht leben kann. 

... oder doch?!

Aber – und das muss man auch ehrlicherweise so sagen: Es kommt schon auch sehr darauf an, wie Bachs Musiksprache gelesen, verstanden und wiedergegeben wird. Eigentlich – so lernt man es an der Hochschule – mit keinem oder nur wenig Vibrato in der linken Hand der Streicher:innen, mit überspannten Barockbögen, die an den unpassendsten Stellen ins Hüpfen geraten können, und begleitet von den nasalen Tönen eines Cembalo statt der intensiv-runden Klänge eines modernen Flügels. Bach hatte eine Klangwelt zur Verfügung, die fast so weit entfernt von unserer heutigen ist wie Neptun von unserer Erde. Umso erstaunlicher, was mit seinen Werken passiert, wenn man sie in die aktuelle Klangsprache übersetzt.

Pianist, Komponist und Arrangeur Tim Allhoff, der schon in der letzten ProArte X-Saison das Publikum begeisterte, hat auch hier wieder seine Finger im Spiel. Für dieses Mal hat er sich eine Musikerin an die Seite geholt, die sich nicht scheut, Bach anders zu spielen, als es den Studierenden auf den Hochschulen beigebracht wird: eben poppig.

Hardangerfiedel und Violine

Eldbjørg Hemsing wuchs in einem kleinen Ort rund drei Stunden nördlich von Oslo auf. „Dort, ganz in der Nähe der großen norwegischen Gebirgskette, die ‚Jotunheimen‘ genannt wird, leben etwa 600 Menschen. Wenn man die nordische Mythologie mag, kennt man das vielleicht auch als den Geburtsort von Thor und all den anderen Gestalten. Mein Name zum Beispiel bedeutet ‚Beschützerin des Feuers‘.“

Eldbjørgs Vater arbeitete als eine Art Ranger in einem nahegelegenen Naturschutzgebiet, ihre Mutter war Geigerin und damit auch ihre Lehrerin. Statt auf einer Geige spielte Eldbjørg die ersten Töne allerdings auf einer Hardangerfiedel. Ihre Schwester Ragnhild erklärt im folgenden Video die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Instrumenten:

Eldbjørgs Geigerinnen-Karriere verläuft nach dem ungewöhnlichen Start aber ziemlich normal. Nach den Hauskonzerten mit der Schwester vor Teddy-Publikum folgte ein Studium am Barratt Due Musikkinstitut in Oslo und an der MUK Wien bei Boris Kuschnir. Es gab Auftritte vor der norwegischen Königsfamilie und mit allen relevanten Sinfonieorchestern nicht nur aus Norwegen, sondern auch aus Europa und den USA.

Fokus Natur

Wir Menschen haben dort oben sehr wenig zu sagen.
Eldbjørg Hemsing

Der Norden beziehungsweise das „Nordische“ bleibt aber in Eldbjørgs Fokus. Vom oben erwähnten Heimatdorf bis zum Polarkreis sind es nur noch 1.000 Kilometer. Und die sind schnell überwunden, für Eldbjørg keine nennenswerte Distanz. „Es ist gar nicht so einfach zu beschreiben, wie es sich dort oben anfühlt. Es ist der einzige Ort, an dem ich mich so unglaublich klein fühle. Wenn man in Städten lebt, ist alles zum Wohle der Menschen geschaffen. Die Natur ist zweitrangig, bis sie einen beeinflusst. Aber im Norden ist es umgekehrt. Die Natur ist die treibende Kraft, egal was man tut, denn sie durchdringt alles. Wenn man zum Beispiel in den Norden reist, besonders im Winter, kommt man vielleicht nicht am geplanten Tag an. Man kommt vielleicht drei oder fünf Tage später an! Wir Menschen haben dort oben sehr wenig zu sagen. Deshalb ist es sehr erdend.“

Diese Erdung tut gut, denn sie ermöglicht Eldbjørg, Bach so zu spielen, wie sie es tut: ohne zu viel auf historische Aufführungspraxis und ungeschriebene Regeln zu achten, sondern sich ganz auf die Kraft der Musik verlassend, die auch als Popmusik einfach unglaublich gut funktioniert.