Klangmagie mit Geige, Stimme und Looper
Owen Pallett
Montag, 18. November 2024 | 19:30 | Elbphilharmonie, Kleiner SaalBesetzung
Owen Pallett Gesang, Violine, Gitarre
Erfolg und Verzweiflung
„Die meiste Zeit gehe ich voller Selbstzweifel durchs Leben.“ Wie kann das eine Person von sich sagen, die seit fast 20 Jahren vom Musikmachen (okay-ish) leben kann, die mit Preisen ausgezeichnet wird, die Oscarnominierungen für Soundtracks sammelt, die für Taylor Swift, Lana Del Rey, Sharon Van Etten oder Wolf Alice arbeitet? Die aber zwischendurch auch sechs Jahre keine eigene neue Musik veröffentlicht, sich lange Jahre mit Jobs in Bars durchgeschlagen hat – die bei zu engem Kontakt mit dem Mainstream lieber einen Rückzieher macht?
Owen Pallett scheint eher jemand für den Hintergrund zu sein, stand beispielsweise mit Arcade Fire auf der Bühne und war strenggenommen für eine Menge verantwortlich, was da passierte, ließ aber immer Win Butler den Vortritt. Und eigentlich bereut Owen bis heute, in der Musikindustrie zu arbeiten und damit Geld verdienen zu müssen. Gerade zur Beginn fühlte Owen echte, ehrliche Verzweiflung, während der Arbeit an der Musik. „Es war einfach wirklich hart, weil ich unter dem Druck stand: So bezahle ich jetzt meine Rechnungen.“
Und trotzdem liebte und liebt Owen es, Musik zu machen. Aber ist da auch bis heute ziemlich kompromisslos. Zu den erfolgreichsten Hits aus den 2010er-Jahren, für die Owen jedes Mal neu mit Geige und Looper-Pedal wunderschönen Indie-Pop zauberte, kam der Satz: „Ich glaube, was mir am besten daran gefällt, ist, dass es so schnell wieder vorbei ist. Ich erschaffe etwas wirklich Schönes, aber dann kille ich es einfach und dann ist es für immer verloren.“
Mit dem Geigespielen ist es sowieso so eine Sache. Owen Pallett wurde 1979 in Mississauga in der Nähe von Toronto geboren, wuchs mit einem Haufen Schallplatten auf, hauptsächlich klassische Musik: Auf dem ersten Walkman hörte Owen in Dauerschleife Musik von Béla Bartók und Bachs Doppelviolinkonzert.
Owen bekam also Geigenunterricht und galt lange Zeit als große Hoffnung bei der Lehrerin. Aber schlussendlich musste Owen doch feststellen, dass es für eine professionelle Karriere nicht reichte. Die Lehrerin hatte bei der Ausführung der Technik nicht gut aufgepasst und es schlichen sich Haltungsfehler ein, die bei täglichem Geigespielen einfach zu Schmerzen führen.
Neue Wege
Für Owen fühlte sich diese Entscheidung tatsächlich sehr erleichternd an, die Geige wanderte zurück in den Kasten und stattdessen kam die Beschäftigung mit einer alten Akustikgitarre, die bis dahin ungenutzt auf dem Dachboden rumgelegen hatte. Owen spielte in Bands, gehörte irgendwann zum Stammpersonal im Sneaky Dee’s, einem Concert Venue in Toronto – also auf der Bühne, nicht davor. Die Szene in Kanada war so überschaubar, dass schnell Menschen aus verschiedenen Richtungen auf Owen Pallett aufmerksam wurden: Arcade Fire, Stuart McLean für seine Show The Vinyl Café, The Hidden Cameras.
Für die eigene Musik gab sich Owen Pallett dann bald darauf einen Namen: Final Fantasy, wie die Computer-Rollenspielserie. Ein besonders großer Fan war Owen dabei gar nicht, mochte aber die zwei Wörter und ihre gemeinsame Bedeutung. 2005 entstand eine erste EP, ein Jahr später veröffentlichte Final Fantasy das Album He Poos Clouds, auf dem alles war, was Owen Palletts Musik ausmachte: Geige, Synthesizer und Looper. Final Fantasy war eine beeindruckende One-Person-Show, die im selben Jahr noch mit dem ersten Polaris Music Prize – bis heute ein Gütesiegel für kanadische Popmusik – ausgezeichnet wurde.
2009 wurde das Projekt Final Fantasy trotzdem beendet, Owen Pallett wollte einen Rechtsstreit mit Square Enix, dem Hersteller des Videospiels, vermeiden. Außerdem war gerade ein Album fertiggeworden, das auf keinen Fall im Schatten einer solchen Auseinandersetzung stehen sollte.
Heartland entstand in den Greenhouse Studios von Valgeir Sigurðsson in Reykjavík; ein ganzes Orchester und ein Holzbläser-Ensemble waren involviert. Hier konnte Owen Können, Talent und Qualifikation in Bezug auf klassische Musik zeigen. In zwölf Tracks erzählt das Album von Lewis, einem Bauern, der sich mit seiner Beziehung zu Gott und der Natur des Schicksals auseinandersetzt. Owen Pallett selbst tritt als erzählende Person auf und gerät mit Lewis in immer verworrenere Gesprächsrunden.
Von „Heartland“ zu „Island“
Nach der Veröffentlichung von Heartland machte Owen Pallett eine interessante Erfahrung. „Ich weiß noch, wie ich mit 30 überrascht war, dass meine Alben und Shows so gut geworden waren, aber ich sah mich mit einem schrumpfenden Publikum konfrontiert. Als ob ich zu alt geworden wäre und sich die Leute nicht mehr für mich interessierten. Ich kann es nicht wirklich ‚Altersdiskriminierung‘ nennen, weil ich nicht glaube, dass es das ist. Es ist eher so, dass die Leute sich lieber für neue Künstlerpersönlichkeiten begeistern. Wenn niemand weiß, wozu die Person in der Lage ist, kann das sehr aufregend sein. Das geht verloren, wenn man etablierter wird und die Leute anfangen, zu verstehen.“
Ein Dilemma, das Owen Pallett aber nicht weiter belastete oder beschäftigte. Selbstzweifel anderer Art gab es ja stets genug.
In den Jahren nach Heartland kam der Looper immer seltener zum Einsatz. „Die meisten Songs von Island (erschienen 2020) lassen sich nicht loopen. ‚Paragon of Order‘ wurde beispielsweise am Klavier geschrieben. Ich habe erst im Nachhinein versucht, ihn in einen Loop-Song zu transformieren. Aber das hat gar nicht funktioniert. Ich könnte 90 Minuten am Stück am Klavier sitzen und Songs spielen, die ich mit einem Looper nicht spielen kann.“
Wieder auf Tour
Könnte Owen also. Macht Owen aber natürlich nicht. Die Tour mit Hidden Cameras 2023 – und das nach acht Jahren Funkstille mit Bandleader Joel Gibb – hat so viel Spaß gemacht, dass Owen Pallett jetzt wieder selbst auf der Bühne stehen möchte. Und zwar mit einem selbst entwickelten und gebauten Looping Rig. „Ich habe sechs Monate lang recherchiert, wie ich etwas bauen konnte, mit dem ich Post-Effekte und solche Sachen in Echtzeit verarbeiten kann. Ich denke, das könnte das Beste sein, was die Welt je gehört hat.“
Selbstzweifel, ade!