Entertainment und Utopie
250 Jahre Amerikanische Unabhängigkeit

Aufgewühlt und aufwühlend scheint für den Betrachter das aktuelle Amerika. Und schwer begreiflich klingt angesichts der politischen Gegenwart, wofür amerikanische Musik schon immer stand: verblüffende Ungebrochenheit, Freiheit von Berührungsängsten, grenzenlose Offenheit. Das Eigene scheint dort mit dem von fernher Eingewanderten umstandslos verschmelzen zu können, und die strenge Trennung von E und U – Ernst gegen Unterhaltung – ergibt kaum einen Sinn. Ein fernes Ideal?
Es gibt eine Fotografie aus dem Jahr 1900, die dieses sphärenverbindende Ideal köstlich symbolisiert – aber es entstand nicht in Kalifornien oder Kentucky, sondern in Wien! Ein Schrammel-Quintett ist darauf zu sehen, eine der beiden Geigen wird von Fritz Kreisler gefiedelt, am Cello hockt fidel grimassierend der junge Arnold Schönberg: ein Name, der später zum Schrecken konservativer Geister wurde. Der Name Fritz Kreisler hingegen ist bis heute Inbegriff wienerisch-weltläufiger Virtuosität. Und beide, Kreisler wie Schönberg, wurden später zu Exilanten in Amerika, weil sie als Juden durch den mörderischen Rassenwahn der Nazis bedroht waren. Der eine Flüchtling amerikanisierte seinen Namen konsequent zu Schoenberg, so wie auch der ebenfalls geflohene Kurt Weill ganz Amerikaner zu sein beschloss.
- Samstag, 13. September 2025 | 21:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer SaalDaniel Hope: America
Zürcher Kammerorchester
€98,00| 88,00 |72,00|56,00|24,00zzgl. VVK - Samstag, 13. September 2025 | 17:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer SaalDaniel Hope: America
Zürcher Kammerorchester
€98,00| 88,00 |72,00|56,00|24,00zzgl. VVK
Schönbergs Name steht (etwas zu Unrecht) für eine Unerbittlichkeit des „E“ in der Musik, die in Amerika Befremden hervorrufen musste. So stand der Komponist Aaron Copland (1900–1990) zu Beginn seiner Karriere zwar durchaus unter dem Einfluss der europäischen Avantgarde. Dann aber entschied er sich bewusst für einen entgegengesetzten Weg: stark von amerikanischen Folk-Traditionen geprägt und in klarer, direkt zugänglicher Harmonik. Er schrieb Werke über Billy the Kid und Abraham Lincoln, und hört man sein Appalachian Spring, so fühlt man sich direkt in amerikanische Landschaften versetzt, in eine Atmosphäre von unendlicher Weite, die sogar Coplands „absolute“ Musik atmet, etwa die dritte Sinfonie. Coplands Wille zum Populären ist aber keinesfalls mit Rückschrittlichkeit zu verwechseln. Was für ein komplexer, politisch aktiver Künstler dieser Komponist war, zeigte der New Yorker Kritiker Alex Ross in seinem Buch The Rest Is Noise (dem lesbarsten Schmöker über die Musik des 20. Jahrhunderts, in dem Amerika – manchmal überpointiert als Gegensatz zu den „Neurosen“ der europäischen Avantgarde –endlich einmal den Raum einnimmt, der ihm gebührt).
- Dienstag, 07. Oktober 2025 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer SaalLondon Symphony Orchestra
Sir Antonio Pappano | Janine Jansen
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Eine gute Generation nach Copland nahm ein anderer bedeutender amerikanischer Komponist kein Blatt vor den Mund: „Mit Schönberg war die ‚Qual der modernen Musik‘ geboren worden, und es war kein Geheimnis, dass das Publikum für klassische Musik im 20. Jahrhundert rapide schrumpfte, nicht zuletzt wegen der akustischen Hässlichkeit so vieler neuer Werke, die geschrieben wurden.“ In bemerkenswerter Frechheit nannte der 1947 geborene John Adams – von ihm stammt das Zitat – eines seiner Werke gar Harmonielehre, auf Deutsch, nach Schönbergs musiktheoretischem Standardwerk. Auch Adams’ knappere Werke wie Short Ride in a Fast Machine entwickeln einen unwiderstehlichen tonalen Sog. Gemeinsam mit den etwas älteren Steve Reich und Philip Glass oder dem hierzulande weniger bekannten Paul Lansky steht er für die vielleicht originärste Erfindung der amerikanischen „klassischen“ Musik im 20. Jahrhundert: den sogenannten Minimalismus, der live im Konzertsaal maximalistische, geradezu hypnotische Wirkung entfalten kann.
- Mittwoch, 18. März 2026 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer SaalLucas & Arthur Jussen
Alexej Gerassimez | Emil Kuyumcuyan
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Die Notlösung, hier den Begriff „klassisch“ in Anführungszeichen zu setzen, verrät noch etwas über Amerikas Besonderheiten. Denn was Genres und Stilebenen angeht, konnte und kann Europa viel von amerikanischer Freiheit lernen. Zu einem Schlüsselwerk des Bestrebens, die populären Komplexitäten von Jazz und Blues aufzusaugen, wurde 1924 die legendäre Rhapsody in Blue von George Gershwin (einem Komponisten übrigens, den sein späterer kalifornischer Nachbar Arnold Schönberg sehr schätzte). Ein legitimer Nachfolger für den ziemlich jung verstorbenen Gershwin war Tausendsassa Leonard „Lenny“ Bernstein, der zu den besten Mahler-Dirigenten der Geschichte gehört und zugleich mit der West Side Story von 1957 eins der berühmtesten Musicals überhaupt schuf: aktive Unbefangenheit, die kunstvoll alles verschmilzt, was inspiriert. Dieser Geist lebt heute weiter etwa in dem 1972 geborenen Polystilisten Kevin Puts, für den Melodie und Emotion keine Schimpfworte sind, sondern das, worauf es in der Musik ankommt. Und dass liebevolles Crossover bedenkenlos Barock mit Volksmusik und Experiment mit Pop verbinden kann, beweisen nicht nur die Kompositionen der New Yorker Nico Muhly (*1981) und Caroline Shaw (*1982), sondern hat sich längst auch nach Europa herumgesprochen: Ein Paradebeispiel dafür ist der 1990 geborene Martynas Levickis, der auf dem Akkordeon alle Grenzen überschreitet. Dass er aus Litauen stammt, dem Land von Philip Glass’ und Aaron Coplands Vorfahren, ist ein schöner Zufall.
- Donnerstag, 08. Januar 2026 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer SaalJoshua Bell
Academy of St Martin in the Fields
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- Donnerstag, 05. Februar 2026 | 19:30 Uhr | Elbphilharmonie, Kleiner SaalKebyart
Werke von Gershwin, Reich, Purcell und anderen
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All das sollte uns daran erinnern, dass die Offenheit, in der wir heute (noch?) leben, ein unschätzbarer Segen ist. Kreisler oder Weill und auch Schönberg hätte vor gut 80 Jahren eine Rückkehr in ihre Heimatländer das Leben gekostet. Einen anderen Exilanten, der sich vor noch längerer Zeit tatsächlich aus Heimweh zur Rückkehr entschloss, führte diese Entscheidung an den Rand einer katastrophalen Tragödie. Und das, obwohl Sergej Prokofjew ab 1936 in Stalins Sowjetunion unter lebensbedrohenden Bedingungen nochmals einen Kreativitätsschub erfuhr (auch ein Paradox der Kunst). In den USA, wohin Prokofjew nach der Oktoberrevolution gezogen war, hatte er nicht Fuß fassen können und sich daher, vor der Rückkehr nach Moskau, jahrelang in Paris niedergelassen. Einen entscheidenden Erfolg hatte Prokofjew aber doch in Amerika: die Uraufführung seines dritten Klavierkonzerts im Jahr 1921 in Chicago. Gewiss ist es kein Zufall, dass dieses ungebrochen klingende, von allen Berührungsängsten freie, grenzenlos offene Konzert zu einem seiner populärsten Werke wurde. Denn auch wenn sein Schöpfer dort menschlich kein Zuhause fand, atmet es amerikanischen „spirit“ im besten Sinn: den Geist der Universalität. Die amerikanische Musik hat eben ihre eigenen E und U: Entertainment und Utopie. Die beiden sind kein Widerspruch, sondern ein Liebespaar.
- Samstag, 27. September 2025 | 20:00 Uhr | Elbphilharmonie, Großer SaalWiener Philharmoniker
Tugan Sokhiev | Lukas Sternath