Hintergründe

Anne-Sophie Mutter im Gespräch

„Die Zukunft der klassischen Musik muss immer wieder neu gedacht werden.“

Anne-Sophie Mutter @ Jürgen Carle
© Jürgen Carle

Anne-Sophie Mutter sprach mit Anna-Kristina Laue über ihre Herzensprojekte zum 50-jährigen Bühnenjubiläum, von denen zwei auch in Hamburg zu erleben sein werden.

Wie alles begann ...

Anne-Sophie Mutter feiert ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum.

Anna-Kristina Laue: 2026 und 2027 feiern Sie Ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum: 1976 gaben Sie Ihr Debüt beim Lucerne Festival (Luzerner Festwochen), 1977 Ihr Debüt mit Herbert von Karajan bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Er hat später gesagt: „Man kann sie nicht als Talent bezeichnen, sie ist einfach ein Genie auf der Geige.“ Wie haben Sie das als Teenager empfunden? Wussten Sie, dass da gerade etwas Besonderes passiert? 

 

Anne-Sophie Mutter: Also, die Aussage habe ich erst sehr viel später am Rande mitbekommen. Ich war einfach nur glücklich, dass ich dieser Leidenschaft, Geige zu spielen, tatsächlich folgen durfte. Und ich konnte es natürlich auf der anderen Seite überhaupt nicht fassen, dass mein Vorspiel bei Herbert von Karajan so erfolgreich lief. Das war das Allerletzte, mit dem ich gerechnet hätte. Insofern war alles, was danach kam, eine Riesenüberraschung und natürlich ein sehr großer Ansporn.

Sie haben damals mit Mozart debütiert: Wie klang der Mozart der 13-jährigen Anne-Sophie Mutter, wie klingt er heute?

 

Das ist aus der subjektiven Warte schwer zu beantworten. Aber durch die Lebenserfahrung, durch die Erfahrung mit dem eigenen Spiel und dem, was man weiterentwickeln möchte, durch die Veränderung auch unserer Auffassung von der Aufführungspraxis der Musik aus der Wiener Klassik, mit einer sparsameren Vibratogebung, vielleicht auch mit mehr Verständnis für die Phrasierungskunst Mozarts, ist mein Mozart, glaube ich, spritziger geworden und sicher auch noch persönlicher. Aber im Prinzip ist man ein Leben lang auf dem Weg dahin, eine sogenannte zeitlose Interpretation zu finden. Mozarts Violinkonzerte werden ja oft als „leicht“ missverstanden. Dabei liegt in der zielgenauen Wahl der sparsamen, aber doch unfassbar treffenden musikalischen Ausdrucksweise die große Kunst, weil alles nackt daliegt. Es ist wie Miniaturenmalerei auf einem kleinen Kirschkern, jedes Detail muss sitzen, da ist nichts mit dem großen Pinsel gemalt. 

Das war natürlich mit 13 nicht so ein stark kognitiv geprägter Prozess. Aber auch jetzt finde ich es wichtig, dass die Spielfreude und der Intellekt sich unbedingt die Waage halten müssen und vielleicht am Ende die Spielfreude immer die Oberhand gewinnen muss.

Frauenpower zum Jubiläum

Anne-Sophie Mutter über die bevorstehende Zusammenarbeit mit Karina Canellakis und dem London Philharmonic Orchestra.

In Hamburg dürfen wir Sie in dieser Saison mit Tschaikowskys Violinkonzert erleben – an der Seite des London Philharmonic Orchestra mit Karina Canellakis.

 

Genau, das ist der andere Pinsel, der breite Pinsel, der romantische, sehr virtuose, sehr stürmische, unglaublich farbige, wilde, wunderschöne. Das Violinkonzert begleitet mich auch schon ganz lange. Am 15. Dezember 1985 spielte ich es bei meinem letzten Konzert mit Karajan in Salzburg. Daraus wurde auch ein Live-Mitschnitt. Und dann habe ich es später noch mal mit dem London Symphony Orchestra und André Previn aufgenommen. Es ist eines der großen Werke, an denen man nicht vorbeikommt. Und es wird immer wieder der Versuch unternommen, es neu zu entschlüsseln, es vielleicht puristischer und schlichter zu spielen. Wir werden sehen! Mit Karina Canellakis habe ich noch nie zusammengearbeitet, ich schätze sie aber sehr. Ich habe öfter Konzerte von ihr besucht, sie ist eine tolle Musikerin. Und ich unterstütze natürlich unbedingt auch Kolleginnen, wo immer ich kann.

Auf die Frauenpower freuen wir uns auf jeden Fall! 

 

Man muss sagen, da ist Amerika wahnsinnig proaktiv, die Sponsoren machen gar nicht mit, wenn nicht ein bestimmter Prozentsatz an Repertoire viel breiter aufgestellt wird und wenn nicht auch auf viel mehr Diversität unter den Musikern, speziell eben auch unter den Dirigenten geachtet wird. Nur so können wir den Zugang zur klassischen Musik verbreitern und vor allen Dingen auch mehr Anknüpfungspunkte zum wahren Leben bieten. Wer möchte Dirigentin werden, wenn es keine Leitfiguren gibt? Und es gibt ja, weiß Gott, genug Begabungen! Wir leben zwar, was das angeht, in einer sehr viel offeneren Zeit, aber das muss unbedingt in rasantem Tempo noch verstärkt werden!

Und dann treten Sie gleich zu Beginn der Saison noch in einer spannenden Trioformation bei uns auf: Mit Yefim Bronfman am Klavier und Pablo Ferrández am Cello …

 

Ja! Das wird ein ganz besonderer Abend! Das Tschaikowsky-Trio ist ein Werk, das ich auch schon vor langer Zeit mit Yefim Bronfman aufgeführt habe. Ich kann es kaum erwarten, eins der wirklich bedeutendsten Klaviertrios in der Musikgeschichte mit einem Tschaikowsky-Interpreten zu spielen, der einfach unvergleichlich ist. Und Pablo Ferrández, mit dem ich auch das Brahms-Doppelkonzert aufgenommen habe, ist ein ganz außergewöhnlicher Streicher. Und dann noch in meinem Lieblingssaal, in der Elphi! Ich könnte mich nicht mehr freuen.

Wie haben Sie drei zueinander gefunden?

 

Das ist eine gute Frage. Ich bin ja wahnsinnig klavieraffin, und in meiner Freizeit gehe ich hauptsächlich in Klavierkonzerte – es kann sein, dass ich Fima [Yefim Bronfman] einfach gehört und angesprochen habe. Dann entwickeln sich Gespräche und plötzlich spielt man zusammen! Und Pablo hat mir vorgespielt, weil er meinen musikalischen Rat gesucht hat und dann auch Stipendiat meiner Stiftung wurde. Ich spiele ja mit allen meinen Stipendiaten über Jahre zusammen – das ist, glaube ich, die entscheidende Förderarbeit, dass man zusammen musiziert, voneinander lernt. So ist die Zusammenarbeit entstanden, und ich bin da „eingesandwicht“ zwischen Fima und Pablo! [lacht]

Träume und Herzensangelegenheiten

Anne-Sophie Mutter über die Bereicherung des Repertoires und die Förderung talentierter Nachwuchsmusiker:innen.

Kann man sagen, dass es sich in den Programmen zu Ihrem Jubiläum um Herzenswerke handelt?

 

Ich muss gestehen, dass ich Werke, zu denen ich weder intellektuell noch emotional Zugang finde, nicht aufführe, was natürlich im Umkehrschluss bedeutet, dass das, womit ich auf die Bühne gehe, mir wahnsinnig am Herzen liegt! 

Und wie feiern Sie noch?

 

Mein großes Projekt zum 50-jährigen Bühnenjubiläum ist auch, alle für mich geschriebenen Werke jetzt endlich einzuspielen. Denn es ist mir ganz wichtig, dass am Ende meines musikalischen Lebens diese Werke ein Eigenleben haben und somit die Auseinandersetzung, das Lernen, das Weiterleben dieser Kunstwerke in gewisser Weise gesichert ist. Ich finde, darin liegt die große Verantwortung des Interpreten. Und darum liegt mir unfassbar daran, Repertoire so zu bereichern und in die Zukunft hineinzudenken, dass wir jetzt Dinge etablieren können, die vielleicht erst in zehn, zwanzig Jahren Mainstream werden. Ich möchte weiter ein bisschen mit vordenken dürfen, Musikprojekte anstoßen, und auch die Förderung meiner jungen Streicher ist mir eine Herzensangelegenheit.

 

Denn wir brauchen diese Botschafter, die mit Idealismus das Miteinander feiern, die Einzigartigkeit der Unterschiedlichkeit. Wir brauchen den Dialog, das feine Hinhören und die Fähigkeit, die eigenen Aussagen zu verändern durch das, was um uns herum geschieht, während wir gerade selbst interpretieren. Ich glaube schon, dass Musikmachen eine Chance für ein besseres, offeneres, freudigeres Miteinander sein kann. Aber wir müssen wirklich ganz leidenschaftlich kämpfen und neue Formate finden.

 

In diesem Zusammenhang ist das wohl spannendste Werk zu meinem Jubiläum eine Auftragskomposition des amerikanischen Komponisten Sebastian Currier mit dem polnischen Videographer Paweł Wojtasik. Sie heißt The Seasons und ist eine Gegenüberstellung von Vivaldis Vier Jahreszeiten mit einem Videoprojekt über die Veränderung der Umwelt durch die Industrialisierung. Es ist natürlich ein sehr kritisches Werk. Und es ist mir ganz wichtig, diese zwei Kunstformen – Musik und visuelle Kunst – zusammenzubringen. Abgesehen von dem Herzstück der Idee, nämlich der „environmental consciousness“, ist meine andere große Leidenschaft der Versuch, ein breiteres, sich nicht nur für Musik interessierendes Publikum, das heißt eigentlich alle anzusprechen, die wir vielleicht auch über die Visualität in den Konzertsaal locken können, weil die Zukunft der klassischen Musik immer wieder neu gedacht werden muss. ◀