Zum Kennenlernen und Wiederentdecken
Zum Kennenlernen und Wiederentdecken: drei gern gehörte Repertoireklassiker und drei allzu selten zu hörende Exoten, die in dieser Saison das ProArte-Programm in allen Klangfarben schillern lassen.
Klavierkonzert Nr. 3
„Rach 3“ wird es in Kennerkreisen nur genannt – das klingt schroff, ein bisschen furchteinflößend und irgendwie nach Überschallgeschwindigkeit. Assoziationen, die nicht umsonst geweckt werden, denn Sergej Rachmaninows drittes Klavierkonzert ist eigentlich eine ständige Überforderung: Es ist extrem virtuos und wohl tatsächlich das Klavierkonzert mit den meisten Tönen pro Zeit, es ist überaus leidenschaftlich und zwischendurch so schön, dass es nur knapp an der Kitschgrenze vorbeischlittert. Doch der russische Komponist entwickelte es auf geniale Weise, lässt Orchester und Solostimme so raffiniert ineinandergreifen und sich quasi improvisatorisch entfalten, dass die 45 Minuten des Werks wie im Flug vergehen. Apropos Flug: Die Uraufführung in New York musste der Komponist 1909 übrigens bewältigen, nachdem er die gesamte Atlantiküberfahrt auf dem Schiff nur mit einer stummen Partitur üben konnte.
Fabio Luisi | Khatia Buniatishvili
Concierto de Aranjuez
Mit der Wahl der Gitarre – dem wohl spanischsten aller Instrumente – verbeugte sich Joaquín Rodrigo in seinem Concierto de Aranjuez vor der Volksmusik seines Heimatlandes und wagte sich zugleich an ein Experiment: Noch nie zuvor hatte jemand die Gitarre als Soloinstrument mit Orchester für ein ganzes Konzert kombiniert. Das „Experiment“ wurde zu seinem größten Erfolg. Bereits bei der Uraufführung 1940 in Barcelona feierte man den Komponisten für seine geniale und klischeefreie Einbindung der spanischen Folklore. Die barocken Gärten des königlichen Palasts von Aranjuez, wo er mit seiner Frau Victoria lange Spaziergänge unternommen hatte, dienten ihm als Inspirationsquelle. Die Trauer über sein bei der Geburt verstorbenes erstes Kind ließ er mit Anklängen an Bachs Matthäus-Passion in den zweiten Satz einfließen. Und es ist wohl diese Mischung aus per-sönlichen und übergeordneten Motiven, die dafür sorgt, dass die Begeisterung für das Concierto de Aranjuez bis heute ungebrochen ist.
Thierry Fischer | MILOŠ
Ausverkauft
Konzert für Orchester
Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert (oder später) haben es in der Regel schwer, sich neben der Konkurrenz aus früheren Zeiten im Repertoire der klassischen Orchester zu behaupten. Eine glänzende Ausnahme von dieser Regel ist Béla Bartóks Konzert für Orchester, das bereits bei seiner Uraufführung im Jahr 1945 einen gewaltigen Erfolg feierte. Das fünfsätzige Werk mit dem nur scheinbar widersprüchlichen Titel präsentiert in rund 40 Minuten ein klug konzipiertes, abwechslungsreiches Panorama des Orchesterklangs – hintersinnig, anspielungsreich, tiefschürfend.
Vasily Petrenko | Julia Fischer
Boléro
169-mal muss die Kleine Trommel den gleichen Rhythmus wiederholen. Das kostet Nerven und jede Menge Konzentration. Für Schlagzeuger ist der Boléro der Marathon unter den Musikwerken. Oder sollte man eher sagen: unter den Musikexperimenten? Ravel selbst kommentierte: „Ich habe nur ein Meisterwerk geschrieben: den Boléro. Schade nur, dass er keine Musik enthält.“ Denn es gibt nur ein rhythmisches Motiv und zwei Melodievarianten, die immer abwechselnd gespielt werden. 15 Minuten lang. Die Varianz liegt in der Instrumentierung und in der stetig anschwellenden Lautstärke; das Radikale in der Bedingungslosigkeit, mit der der Rhythmus fortschreitet. Eine Art Techno vor der Zeit. Dazu passt auch, dass sich 1928 bei der Uraufführung an der Pariser Oper die Widmungsträgerin Ida Rubinstein in einem Kreis von 20 Tänzern lasziv in Extase tanzte. Natürlich ein Skandal. Doch ganz gleich, ob man nun Sex oder die Eskalation der Gewalt in den beiden Weltkriegen mit dem musikalischen Geschehen assoziiert – die rauschhafte Sogwirkung des Boléro ist unbestritten.
Maurice Ravel: Boléro
Schelomo
Der König spricht mit seinem Volk – so verstand Ernest Bloch den musikalischen Inhalt seiner Cello-Rhapsodie Schelomo. Die Stimme des biblischen Königs Salomon gehört dabei selbstverständlich dem Solocello. Und das Gespräch könnte tiefgründiger und allumfassender kaum sein: Da geht es um weltliche Pracht, um das tiefe Sehnen nach Liebe und Verschmelzung, wie es im biblischen Hohelied zum Ausdruck kommt, und schließlich um das abgeklärte „Es ist alles ganz eitel“. Gekleidet ist dieses musikalische Gespräch in ein prächtig schimmerndes, spätromantisch-impressionistisches Klanggewand: Neben einem üppigen Orchesterapparat ließ Bloch sich in Rhythmus und Melodie von orientalischen Klängen und der hebräischen Sprache inspirieren. Entstanden im Jahr 1916 bietet Schelomo einen Strahl der Hoffnung und Menschlichkeit in einer dunkel gewordenen Welt.
Tarmo Peltokoski | Sol Gabetta
Sinfonie Nr. 3 „Rheinische“
Alles fließt. Und zwar keineswegs den Bach runter, sondern den Rhein rauf! Für Robert Schumann lief ausnahmsweise einmal alles rund: Er freute sich auf seine neue Stelle als Musikdirektor in Düsseldorf, Clara und den Kindern ging es gut und er genoss die Anerkennung, die man ihm an seiner neuen Wirkungsstätte entgegenbrachte. Derart positiv gestimmt brachte er 1850 innerhalb eines Monats seine dritte Sinfonie zu Papier – den Motivationsschub spürt man in jeder Note: Der schwungvolle erste Satz, der tänzerische zweite und natürlich der festliche vierte, der vom überwältigenden Anblick des Kölner Doms inspiriert sein soll. Es sind die gesanglichen Melodiebögen, der elegante Fluss der Motive und der schier überbordende Ideenreichtum, die Schumanns „Rheinische“ zu einer der schönsten romantischen Sinfonien machen.
Paavo Järvi | Víkingur Ólafsson