Hintergründe
Mahler-Klangwelten in der ProArte-Saison 2024/25

Der geniale Sinfonienschöpfer Gustav Mahler

Mit diesem Mann hat sie sich etwas eingehandelt. Das war der jungen Alma Schindler durchaus bewusst, als sie den Heiratsantrag von Gustav Mahler annahm: Für seine künstlerische Kompromisslosigkeit bekannt, hatte der Hofoperndirektor seiner Angebeteten unmissverständlich klargemacht, dass auch das Eheleben nach seinen Vorstellungen abzulaufen habe. Diese konservative Haltung lässt den Komponisten kälter erscheinen, als er wohl war – denn dass Mahler lichterloh zu brennen vermochte, war einer der Wesenszüge, die auch Alma an ihrem doppelt so alten Verehrer attraktiv fand. „Ich muss sagen, er hat mir ungemein gefallen – allerdings furchtbar nervös. Wie ein Wilder fuhr er herum im Zimmer. Der Kerl besteht nur aus Sauerstoff. Man verbrennt sich, wenn man an ihn ankommt.“ 

 

Seinen Überschwang an Energie und Emotion konnte Mahler in seine Arbeit kanalisieren – nicht zuletzt auch in seine Kompositionen. Ein berühmtes Beispiel sind die Lieder eines fahrenden Gesellen: Vom komponierenden Kapellmeister in Kassel höchstselbst gedichtet, sind die von einer unglücklichen Liebschaft inspirierten Stücke „so zusammengedacht, als ob ein fahrender Gesell, der sein Schicksal gehabt, nun in die Welt hinauszieht, und so vor sich her wandert.“ Der Lindenbaum als tröstender Ruhepunkt, enttäuschte Liebe eines ruhelos Umhergetriebenen, alle Hoffnung nur Selbstbetrug: Romantischer geht es fast nicht.

In der Fassung als Orchesterlieder zeigt sich besonders klar die tiefe Verbundenheit mit Mahlers erster Sinfonie, die unüberhörbar auf die Melodien und Motive zurückgreift. Und welch eine erste Sinfonie es ist! Schon in den Anfangstakten fühlt man im über die Oktaven aufgespannten „Naturlaut“ die Weite von Mahlers sinfonischer Welt, schon in den ersten Motiven bezeichnen Klangfetzen von Mensch und Natur jene Pole, zwischen denen sich Mahlers Komponieren auch zukünftig stets bewegen wird. Dass Mahlers sinfonischer Erstling kein rechter Erfolg werden wollte, war ein herber Schlag für den Endzwanziger und ließ bereits erahnen, womit er zeitlebens hadern würde: dass seine eigenen Werke nie in jenem Ausmaß Anerkennung genießen würden, wie sie ihm als Dirigent zuflog.

Haus am See

Es ist inspirierend zu sehen, dass kein Rückschlag es je vermochte, Mahlers Kompositionsdrang zu ersticken. Den meisten anderen hätte allein schon das Arbeitspensum seiner Festanstellung gereicht. Rund zehn Monate des Jahres regierte der Theaterwahnsinn, im „Urlaub“ stand dann neben etwas Familienzeit ausgiebig Schwimmen, Radeln und Wandern auf dem Programm, um einen freien Kopf dafür zu kriegen, in wenigen Wochen riesige Sinfonien zu komponieren: Wir müssen uns den Hofoperndirektor als einen glücklichen Menschen vorstellen! 

 

In seinem Refugium am Wörthersee entstanden während der Theaterferien auch die Sinfonien Nr. 5, 6 und 7. Mit dieser Trias legte Mahler erstmals wieder Sinfonien vor, in denen keine menschliche Stimme integriert oder „mitgedacht“ ist. Wie sehr Mahlers Musik dennoch als erzählerisch wahrgenommen wird, lässt sich daran ablesen, wie sehr die Mit-Welt und auch Nach-Welt verborgene Programme aufzuspüren meinte. Und wer will widerlegen, dass tatsächlich etwas Unausgesprochenes zum Beispiel im ätherischen Adagietto der fünften Sinfonie liegt, das Alma sofort als Herzensbotschaft verstanden hat?

Wie ein Axthieb

Auch in der sechsten Sinfonie macht es schlichtweg Spaß, Almas Interpretation nachzuhorchen: dass Mahler im dritten Satz „das arhythmische Spielen der beiden kleinen Kinder, die torkelnd durch den Sand laufen“ verarbeitet habe. Auch ohne Programm zu sein, passt das Bild zum Spielerischen dieses Scherzos in der ansonsten als „Tragische“ apostrophierten Sechsten. Für sie greift Mahler in die Vollen – was emotionale Wucht, aber auch was Klangfarben und Instrumentarium betrifft. Berühmt-berüchtigt ist, wie der Komponist im ohnehin riesenhaften Orchester das Schlagwerk erweitert, von Herdenglocken bis zu einem gigantischen Holzhammer für neue Effekte im letzten Satz.

O, könnt’ ich meine Symphonien fünfzig Jahre nach meinem Tode uraufführen!
Gustav Mahler

Wie ein helles Gegenstück dazu wirkt die siebte Sinfonie, und das, obwohl die ersten vier Sätze durchaus dunkel konnotiert sind und dem Werk Assoziationen wie „Nachtwanderung“ einbrachten. Das Finale strahlt dann allerdings so taghell, dass es fast schon verdächtig ist. Mahler selbst schien jedenfalls zufrieden mit der Sinfonie, die er Konzertveranstaltern als sein „bestes Werk und vorwiegend heiteren Charakters“ anpries. Eigentlich wollte er sich mit ihr auch beim New Yorker Publikum vorstellen, optierte dann jedoch für die überschaubarere vierte Sinfonie. 1901 vollendet, war die Humoreske mit dem ausschweifenden langsamen Satz eine Art „Joker“ in Mahlers Repertoire geblieben, immer wieder in Betracht gezogen, wenn man einem neuen Publikum einen Einstieg in seine Klangwelt erleichtern wollte oder eine geplante Aufführung anderer Sinfonien zu arg unter deren monumentalen Anforderungen ächzte. Mahlers Werke waren eben auch eine Zumutung – für das Publikum, für die Ausführenden, für den Komponisten selbst. „O, könnt’ ich meine Symphonien fünfzig Jahre nach meinem Tode uraufführen!“, so der Stoßseufzer in einem Brief, der sich heute wunderbar prophetisch liest: Nach seinem Tod setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Gustav Mahler eben nicht nur ein Jahrhundertdirigent war, sondern auch ein die Jahrhunderte überragender Komponist.

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